• Kerninteresse drei: Zusammenarbeit

    Zuerst erschienen auf LinkedIn am 20. September 2024

    Stabiles Dreieck Komplexität – Vertrauen – Kooperation

    Mit diesem Artikel bildet sich in meinem gedanklichen Netz das erste stabile Dreieck.

    Den Start bildete die Verbindung von Komplexität hin zu dem, auf Umwegen erreichten, Vertrauen, ohne dass sich komplexe Systeme nicht benutzen lassen.

    Hinzu kommt nun die Zusammenarbeit, im Folgenden Kooperation genannt.

    Ohne Vertrauen ist keine Kooperation möglich und ohne Kooperation ist der erreichbare Grad an Komplexität begrenzt. Ich würde jetzt sogar die steile These wagen und behaupten, dass ohne Kooperation gar kein Fortschritt möglich ist.

    Kooperation ist stärker als Wettbewerb

    Ich höre den Aufschrei: Aber ist es nicht der Wettbewerb, der die Innovation vorantreibt?! Überraschend fand ich folgende Erörterung im Wikipedia-Eintrag zu Joseph Schumpeter, dem Begründer des Konzepts der “kreativen Zerstörung”:

    “Schumpeter begründete in seiner Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung (1911) Pionierleistungen nicht vorwiegend mit ökonomischem Eigennutz, sondern mit psychologischen Motiven, zu denen auch die „Freude am Gestalten“[27] zählt. […] Schumpeter erkannte damit das Wechselspiel aus Innovation und Imitation in der Arbeitswelt als Triebkraft des Wettbewerbs.” – (https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Schumpeter#cite_note-27)

    Also treibt die Innovation den Wettbewerb – nur lässt das nicht automatisch auch die umgekehrte Schlußfolgerung zu. Die Triebfeder für Innovation könnte auch schlicht in der menschlichen Natur liegen und der kapitalistische Wettbewerb ist einfach nur ein guter Katalysator dafür.

    Ohne zu stark in Richtung Wirtschaftstheorie abschweifen zu wollen, möchte ich doch meinen (derzeitigen) Lieblingskapitalisten Nick Hanauer zitieren aus seinem TED-Talk von 2019: “ The dirty secret of capitalism — and a new way forward”:

    “Now, the old economics is correct, of course, that competition plays a crucial role in how markets work, but what it fails to see is that it is largely a competition between highly cooperative groups, […] and anyone who has ever run a successful business knows that building a cooperative team by including the talents of everyone is almost always a better strategy then (hiring) just a bunch of selfish jerks.” (11:39)

    Den Weg dahin arbeitet er sich an klassischer – neoliberaler – Wirtschaftstheorie ab und stellt sie dann in Kontrast zu einem neuen Ansatz, der sich aus der Schlussfolgerung ergibt, dass Menschen von Natur aus kooperativ, auf Gegenseitigkeit bedachte und moralisch handelnde Wesen sind.

    “if […] we accept the latest empirical research, real science, which correctly describes human beings as highly cooperative, reciprocal and intuitively moral creatures, then it follows logically that it must be cooperation and not selfishness that is the cause of our prosperity, and it isn’t our self-interest but rather our inherent reciprocity that is humanity’s economic superpower.” (9:16)

    Ich möchte nicht nur den gesamten Vortrag empfehlen, sondern auch auf den Podcast verweisen, der seit 2019 zuerst systematisch die neue Wirtschaftstheorie hergeleitet hat, sondern seitdem immer wieder sehr spannende Interviews und Buchbesprechungen bietet. https://pitchforkeconomics.com/

    Nullsummenspiele sind eine theoretische Vereinfachung

    Wo ich schon so viel Richtung Wirtschaftstheorie zitiert habe, füge ich noch den Link zu dieser Folge hinzu, die komplexe, agentenbasierte Wirtschaftsmodelle bespricht, die sehr gute Vorhersagen während der Covid-Pandemie geliefert haben. Das traf meine Leidenschaft für Simulationen und ich bin sehr neugierig, das dazugehörige Buch “Making Sense of Chaos: A Better Economics for a Better World” zu lesen.

    Erwähnt habe ich es hier vor allem für die Erklärung für die simplen Nullsummenspiele und Gleichgewichtsmodelle in der klassischen Wirtschaftstheorie. Sie bilden die Realität in der Regel ungenügend bis schlecht ab, waren aber zur Boomzeit der Theoriebildung in den 1950ern und folgend alles, was sich rechnerisch abbilden ließ.

    Die Welt ist kein Nullsummenspiel

    Dabei sind Nicht-Nullsummenspiele in der Praxis der Regelfall. Selbst in scheinbar reinen Konkurrenzsituationen treten häufig eben keine Nullsummen-Effekte ein. Wenn zwei Schuhhändler an der gleichen Stelle der Stadt ihre Läden haben, können beide davon profitieren, dass mehr Leute zum Schuhkauf dorthin kommen, weil die gemeinsame Auswahl größer ist.

    Eines der bekanntesten Theoriespiele hierzu ist das Gefangenendilemma, bei dem aufgrund der kurzfristigen Vorteile zwei rationale Spieler*innen sich für die scheinbar weniger optimale Version entscheiden.

    Mir gefällt die Formulierung als Aufgabe mit Aufwand und Nutzen besser, deshalb nutze ich diese Variante zur Erläuterung des Setups:

    • Für eine zu Zweit zu erledigende Aufgabe gibt es für jede Einzelperson die Option, Aufwand betreiben (Kosten 5)  oder faul mitzulaufen (Kosten 0).
    • Das erwartete Ergebnis ist
    • Der maximale Mehrwert bei Kooperation = beide betreiben Aufwand ist also 6: 16 Ertrag – 2×5 Kosten = 3 pro Person.
    • Das spieltheoretische Dilemma ist nun, dass individuell “rational handelnd” beide jeweils keinen Anreiz haben, Aufwand zu betreiben. Faul sein ist ohne Risiko:

    So formuliert kann ich mir kaum vorstellen, dass viele sich auf die faule Haut legen und die anderen alleine arbeiten lassen würden, aber spieltheoretisch ist es dieselbe Auszahlungsmatrix wie Beispiele des klassischen Gefangenendilemmas.

    Auf lange Sicht zahlt sich Kooperation aus

    Relevant für das Thema Kooperation wird dies nun, wenn das Gefangenendilemma als wiederholtes Spiel durchgeführt wird. Dann zahlt sich plötzlich Kooperation doch aus, solange man nicht nur mit völlig naiven Gegenspieler*innen zu tun hat, die sich alles gefallen lassen. Eine weit beachtete Arbeit basiert auf einem Computerturnier aus den 1980er-Jahren, in dem verschiedene Strategien gegeneinander simuliert wurden. Hierzu empfehle ich die wundervolle Aufbereitung vom Youtube-Channel Veritasium, die sogar ein Kurzinterview mit Prof. Robert Axelrod enthält, der das genannte Turnier durchgeführt und untersucht hat: What Game Theory Reveals About Life, The Universe, and Everything

    Die Gemeinsamkeiten der erfolgreichsten Strategien teilen dabei folgende Kriterien:

    1. Nett – starten kooperativ und verweigern nicht als erstes
    2. Nachsichtig – kehren zur Kooperation zurück auch nach einer Phase der Verweigerung
    3. Vergeltend – lassen sich nicht ausnutzen und verweigern die Zusammenarbeit, wenn die andere Partei damit anfängt. (Interessant ist die Einordnung hier auf Platz 3, Nachsicht ist also erst einmal wichtiger.)
    4. Nachvollziehbar – das erwartbare Verhalten ist einfach zu verstehen, was für die Strategien von Bedeutung ist, die durch besonders komplizierte Tricks versuchen, sich einen Vorteil zu verschaffen.

    Mit dem von mir modellierten Szenario, das auch Aufwand berücksichtigt, könnte man jetzt natürlich darüber nachdenken, ob eine gemeinsame Strategie der wechselseitigen Pause nicht schlauer wäre, denn pro Spielrunde steht einem Nettogewinn von 5 nur ein Zuwachs von +1 bei doppeltem Aufwand gegenüber.

    Es gäbe noch so viele gute Beispiele für den Vorteil von Kooperation, zum Beispiel Sportmannschaften, bei denen ein gutes Zusammenspiel auch eine Truppe von egoistischen “Superstars” schlagen kann.

    Kooperation ist so offensichtlich überlegen gegenüber Konkurrenz, dass ausgerechnet das Wettbewerbsrecht nicht ohne Verbot der Kooperation auskommt. Das ist irgendwie ironisch, wenn man darüber nachdenkt. Und das ist natürlich nicht so, weil Kooperation etwas schlechtes ist. Zu große Machtkonzentration verleitet zu einem Missbrauch dieser Macht – und diesen Machtmissbrauch gilt es aus gutem Grund zu verhindern in einer Welt, die so stark auf Eigennutz konditioniert ist. Aber auch das führt wieder zu einem ganz anderen Thema.

    Zerstörung ist einfacher als Aufbau

    In dem weit beachteten und lesenswerten Buch “Sapiens” von Yuval Noah Harari, 2015 arbeitet er sehr gut heraus, wie es die Fähigkeit der Menschen zur Zusammenarbeit in immer größeren Gruppen ist, die “uns” so dominant macht. Selbst bei Akten der gegenseitigen Unterwerfung in Imperien ist es stets die Einbindung und Anerkennung gleicher Rechte und Möglichkeiten für die ehemals Eroberten gewesen, die das Imperium stabilisiert hat, indem es eine größere Gruppe zur Zusammenarbeit organisiert hat.

    Bei aller Zuversicht der vorhandenen Win-Win-Strategien darf nicht vergessen werden, dass es in einem NIcht-Nullsummenspiel zwar häufig die Chance auf einen gemeinsamen Vorteil in einer Win-Win-Lösung gibt, aber ebenso auch den Ausgang, bei dem alle Seiten verlieren. Es ist so viel einfacher und schneller zu zerstören als aufzubauen.

    Auf der etwas düsteren Note möchte ich den doch sonst so optimistischen Beitrag beenden. Und ich habe den perfekt dazu passenden Abschluss gefunden in einem Vortrag aus dem Jahre 2006, der genau die Gratwanderung mit einem deutlichen Anstrich schwarzen Humor verpackt: Progress is not a zero-sum game eröffnet Robert Wright mit einer Warnung: “Die Art und Weise, in der meine Weltanschauung optimistisch ist, war schon immer etwas subtil, manchmal sogar schwer fassbar.“

    Beinahe 20 Jahre später ist es noch schwerer, den Optimismus zu bewahren. Aber, um es mit dem Philosophen Karl Popper zu sagen: „Es gibt zum Optimismus keine vernünftige Alternative!“

  • Warum Angst ein schlechter Ratgeber ist

    Warum Angst ein schlechter Ratgeber ist

    Auf dem Weg zu meinem zweiten Kerninteresse brauche ich einen Umweg. Wir kehren dafür zurück zu unserem Helden Jonas aus der Wormworldsaga von Daniel Lieske. 

    Ich empfehle den Start bei Kapitel 1 dieses kostenlosen Webcomics (verfügbar in Englisch, Spanisch und Deutsch).


    Unser Augenmerk gilt der Artwork-Szene aus meinem Einleitungsartikel. Hier in der Comicversion, die in Kapitel 2 zu finden ist. Bei einem genauen Blick fällt der Bindfaden auf, der am Stützbalken des Dachstuhls als Absicherung festgebunden ist. 

    Bei aller Neugier auf die unbekannte Welt jenseits des Bilderrahmens sind vernünftige Sicherheitsmaßnahmen nicht von der Hand zu weisen. Wer weiß schon, welche Gefahren und Risiken unseren Helden dort erwarten?

    Sich gegen ein Gefühl von Unsicherheit zu wappnen, verhindert die Eskalation zu extremeren Gefühlen. Ohne Gegenmaßnahmen führt Unsicherheit zu Furcht und weiter zu Angst.

    Angst kommt in der Bedürfnishierarchie gleich nach dem Hunger

    In der Bedürfnishierarchie nach Maslow wird Sicherheit als ein sogenanntes Defizitbedürfnis an zweiter Stelle direkt nach physiologischen Grundbedürfnissen wie Essen, Trinken, Atmen, Schlafen genannt. 

    Defizitbedürfnis bedeutet, dass ein empfundener Mangel die Entwicklung “höherer” Bedürfnisse und Motivationen erschwert. 

    Mehrere psychologische Modellen haben sich kritisch mit Maslows Modell auseinandergesetzt und  differenzierter über die Möglichkeiten der Verfolgung der höheren Stufen individueller Bedürfnisse oder Selbstverwirklichung nachgedacht. Als Gegenbeispiele für die strenge Stufung der Bedürfnisse werden die am Hungertuch nagende Künstler*in genannt oder auch die risikobereite Unternehmer*in.

    Aber kaum ein Zweifel scheint daran zu bestehen, dass es hungrig und ängstlich wesentlich schwieriger ist, das eigene Potential voll zu entfalten.

    Eskalation von Angst zu Panik oder Erstarren, beides nicht produktiv

    Es gibt ein weit verbreitetes Sprichwort: “Angst ist ein schlechter Ratgeber”. – Gerne hätte ich die Quelle ausfindig gemacht, aber für die Argumentation reicht mir die Überlegung, was typische Angstreaktionen sind: 1. Flucht zurück in vermeintliche Sicherheit – zumindest aber in bekannte Situationen, 2. Planlose Flucht nach vorn oder 3. Erstarren. 

    Nach verlässlich positiven oder besonders produktiven Ergebnissen klingt keine der Verhaltensweisen.

    Die Angst-Falle überwinden

    Vor einigen Wochen war ich bei einem Coaching-Workshop-Tag dabei, der uns dabei helfen sollte, die Stärken unserer Mitarbeitenden zu erkennen und zu fördern. Selbsterkenntnis war dabei das Ziel der ersten Übungen und so endete ich mit “angstarm” als einer Eigenschaft, der ich einige meiner Erfolge zuschreibe.

    Das hat mich dazu inspiriert, diesen Umweg zu gehen und das Thema Angst nochmal intensiver zu reflektieren.

    Für die darauf folgende Übung haben wir das Modell des Kernquadrats von Daniel Ofman kennengelernt. Ich verweise dazu gerne einmal auf den Wikipedia-Eintrag und auf den ersten Suchtreffer mit einer praxisnahen Erklärung. Diese ist nicht vom Coaching-Anbieter bei dem wir waren – den verlinke ich hier gerne auch noch: Crispy Coaching in Berlin.

    Meine eigene Kurzfassung des Kernquadrats geht so: Wenn wir eine eigene Stärke als Kernqualität bezeichnen, dann führt die extreme Übertreibung dieser Stärke in eine Falle, in die wir nicht tappen wollen. Um dies zu vermeiden, sollte man sich der dazugehörigen Herausforderung stellen, die eine gespiegelte Stärke zur Falle darstellt und sie dadurch “entschärft”.

    Ein inspirierender Twist ist nun, dass sich spiegelverkehrt die extreme Steigerung der Herausforderung als sogenannte Allergie ausprägt. Diese Eigenschaft wird häufig als besonders unangenehm wahrgenommen, wenn man sie an anderen entdeckt.

    Die Coaching-Empfehlung ist nun, bei einer “allergischen” Reaktion auf ein Verhalten die zugrunde liegende Stärke herauszufinden und sich dadurch auf etwas Positives zu konzentrieren.

    Leider – und hier beginnt jetzt meine Interpretation – ist die Welt kompliziert und vielschichtig, wie ich prima an der Beispiel-Grafik aus dem Wikipedia-Artikel erklären kann.

    Ein Rückschluss etwa ist keineswegs gültig: Nur weil ich tatsächlich unleidlich auf Engstirnigkeit reagiere, die als Allergie auftaucht, sagt das noch lange nichts über meine Kreativität aus. Bei der Kernqualität könnte genausogut “spontan” stehen und das Quadrat funktioniert trotzdem. Auch kann die Allergie auch die Falle einer anderen Stärke sein als der eigenen Herausforderung, das wird dann Doppelquadrat genannt und sieht schnell wunderbar verwirrend aus.

    Jedenfalls hatte ich enorme Schwierigkeiten, Begriffe für “angstarm” zu entwickeln und habe mir für die Übung lieber etwas leichteres ausgedacht.

    Für diesen Artikel habe ich deshalb die Perplexity-KI gefragt, mir ein Kernquadrat mit “Angst” als Falle vorzuschlagen und diese Antwort bekommen:

    “Ein gutes Beispiel für die Anwendung des Kernquadrats mit „Angst“ als Falle könnte folgendermaßen aussehen:

    1. Kernqualität: Achtsamkeit. Eine Person, die achtsam ist, hat die Fähigkeit, potenzielle Gefahren frühzeitig zu erkennen und darauf zu reagieren. Diese Qualität kann in vielen Situationen von Vorteil sein, da sie dazu beiträgt, Risiken zu minimieren.
    2. Falle: Angst. Wenn die Achtsamkeit übertrieben wird, kann sie in Angst umschlagen. Die Person sieht dann möglicherweise überall Gefahren, was zu einem übermäßigen Sicherheitsbedürfnis und möglicherweise zu Vermeidungsverhalten führt.
    3. Herausforderung: Mut. Die Herausforderung für jemanden, der zur Angst neigt, besteht darin, Mut zu entwickeln. Mut bedeutet, trotz der wahrgenommenen Gefahren und Unsicherheiten zu handeln und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu haben, mit unvorhergesehenen Situationen umzugehen.
    4. Allergie: Leichtsinn. Eine Person, die stark auf Achtsamkeit und Vorsicht setzt, könnte allergisch auf Leichtsinn reagieren. Leichtsinn wird als das Gegenteil der eigenen Kernqualität wahrgenommen und kann bei der Person negative Emotionen hervorrufen, da es für sie unverständlich ist, wie jemand Risiken ignorieren kann”

    Das klingt erstaunlich plausibel, wobei ich von Achtsamkeit nicht unmittelbar zur Angst gekommen wäre, von Wachsamkeit vielleicht.

    Achtsamkeit verstehe ich eher als eine Form von Aufmerksamkeit, die gerade nicht gleich Alarm und Panik zur Folge hat, sondern einen kontrollierten und dialogorientierten Umgang – in Kommunikationssituationen noch dazu auf Augenhöhe.

    Ich habe jedoch nicht versucht, mit der KI über die Subtilität zwischen Wachsamkeit, Vorsicht und Achtsamkeit zu diskutieren.

    Vertrauen ist gut..

    Stattdessen möchte ich zum Abschluss auf die vorgeschlagene Herausforderung eingehen, also die vorgeschlagene Lösung zum Überwinden von Angst: Mut.

    Ich habe nichts gegen Mut, mein naheliegender Reflex würde wohl erstmal in Richtung eines gesunden Risikomanagements gehen. Ängste nüchterner betrachten und im Vorfeld über Strategien für den Eintrittsfall nachzudenken, kann die meisten Ängste doch zu einer besser kontrollierbaren Unsicherheit zurückdrängen.
    Aus einer unkontrollierten Angstsituation voll auf Mut zu setzen, kann ziemlich schnell in die als Allergie erwähnte Leichtsinnigkeit führen.

    Aber ich habe noch aus einem anderen Grund “angstarm” formuliert und nicht “mutig”.
    Meine bevorzugte Strategie gegen Angst ist Vertrauen. Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten sicherlich, Vertrauen aber vor allem auch darauf, nicht alleine durch beängstigende Situationen gehen zu müssen.

    Leider fällt mir mal wieder die Quelle nicht ein, aber es war eine wundervolle Antwort auf den dummen Spruch von Elternseite: “Wenn deine Freunde von der Brücke springen, springst du dann auch?” – Antwort: “Natürlich. Offensichtlich haben sie eine Gefahr erkannt und einen Plan, wie wir uns in Sicherheit bringen können.”

    Kerninteresse 2: Vertrauen

    Es war ein ziemlicher Umweg hierher. Den Bogen zurück zur Komplexität als erstes Kerninteresse schließt der folgende Auszug aus dem Wikipedia-Artikel zu Vertrauen:

    Für Niklas Luhmann ist Grundlage des Vertrauens (d. h. letztlich des Zutrauens zu den eigenen Erwartungen) die „Gegenwart als dauerndes Kontinuum …, als Gesamtheit der Bestände, an denen Ereignisse sich ereignen können“. Dieses Vertrauen hat im Zusammenhang der sozialen Interaktionen die Funktion, die Komplexität der Möglichkeiten auf ein Maß zu reduzieren, das den einzelnen in seiner Umwelt handlungsfähig bleiben lässt.[10]

    Zu guter Letzt wieder eine Empfehlung mit Kontext Klimakrise

    Weil Angst auch bei der Klimakrise in verschiedener Art mitschwingt, möchte ich gerne noch den TED-Talk von Katherine Hayhoe empfehlen: “The most important thing you can do to fight climate change: talk about it”. Er ist aus 2018, hat aber nichts an Gültigkeit verloren. Der Bezug zum Thema wird an Stelle 10:34 deutlich: “Fear is not what is going to motivate us for the long-term, sustained change we need to fix this thing. […] We need a vision of a better future”

    Manches ist leichter gesagt als getan.
    Ich wollt meine Zukunft nicht erleben
    Und noch gestern hatte ich Angst davor
    Doch heut bin ich verliebt ins Leben

    weil ich die Furcht davor verlor

    (“Keine Angst” von Silbermond, 2009)
    https://www.youtube.com/watch?v=IvsM5qid_QA&t=108s 

  • Kerninteresse ein: Komplexität

    Kerninteresse ein: Komplexität

    “Man sollte alles so einfach wie möglich machen,
    aber nicht einfacher.” (Albert Einstein)

    Zuerst erschienen auf LinkedId am 14. Juli 2024

    An den Anfang dieses Textes über Komplexität gehört die Schreibblockade, mit der ich mich bei dem Thema herum geschlagen habe. 

    In der Hoffnung auf Inspiration zum Thema Vereinfachung hat mich dieser Ted-Talk zum Thema Kommunikation vorübergehend komplett zweifeln lassen: How to write less but say more – Von Tipp 1: “Stop being selfish” bis 5: “Just stop” fühlte ich mich ertappt und überfordert. Zwei Gedanken haben mir geholfen, doch noch zu starten. Zum ersten würde ich argumentieren, dass Jim VandeHei im Mittelteil des Vortrags von seinem eigenen Konzept, insb. Tipp 1 abgewichen ist.
    Und zweitens möchte ich behaupten, dass Komplexität ohne Kontext nicht zu erfassen ist. 

    Maximale Einfachheit mag als Endergebnis eines langen Prozesses möglich sein, aber ich bin ja gerade erst aufgebrochen mit dieser Textserie. Also spanne ich ungezwungen vom Anspruch der Perfektion ein paar Gedankenfelder auf, in denen ich zum gemeinsamen Spaziergang einlade. Ob mir gerade jemand folgen mag, ist dabei gar nicht so wichtig, ich gehe diese Gedankenspaziergänge auch gerne allein. 

    Warum also Komplexität

    Meine erste Erinnerung bringt mich zurück zu den N-Dimensionalen Vektorräumen, die unsere Mathe-Lehrerin mit einem Bündel Stricknadeln zu visualisieren versuchte. Als sie die fünfte Nadel im 3-dimensionalen Raum arrangieren wollte, hatte ich die eine Hoffnung: Bei der Abiturprüfung irgendwie daran vorbei kommen können…

    Dabei beginnt Komplexität im Grunde erst da, wo sich etwas selbst mit beliebig vielen, aber eben linearen Dimensionen nicht mehr vollständig beschreiben lässt. Der Wikipedia-Artikel zur Komplexität lässt erahnen, wie tief man sich allein in Definition und Erklärung des Begriffs verstricken kann.

    Ich möchte an folgenden Satz daraus anknüpfen: “Komplexe Situationen hingegen entziehen sich der Beherrschung vollends und lassen nur ein modellhaftes Verständnis zu, da ihre Gesetzmäßigkeiten, Wirkungen und Entwicklungen nicht aus den einzelnen Aspekten selbst hervorgehen […]”

    Modellbildung als Netzdarstellung

    Als Computerspielentwickler habe ich über viele Jahre mehr oder weniger komplexe Systeme selbst entworfen oder analysiert.

    Selbst das komplexeste Modell bleibt immer noch eine Vereinfachung der Wirklichkeit und wird von Annahmen und Bewertungen getragen. Nicht immer lassen sich die Annahmen über Simulationen überprüfen oder das System von subjektiven Bewertungen entkoppeln.

    Im schlimmsten Fall bringt eine falsche – oder nicht akzeptierte – Annahme das ganze Modell zum Einsturz.

    Nach meiner Erfahrung ist die größte Falle in der Modellbildung die Vereinfachung auf eine Dimension – zum Beispiel in einem linearen Text wie diesem. Auch die zweite oder dritte Dimension der Darstellung wird einem komplexen Problem häufig nicht gerecht. Es droht die unzulässige Vereinfachung, vor der das einleitende Einstein-Zitat warnt. 

    In der Erarbeitung und Dokumentation eines komplexen Systems habe ich die besten Erfahrungen mit Wiki-Systemen gemacht, die das Erstellen von Verlinkungen zwischen Elementen erlauben, so dass es auf unterschiedlichen Wegen navigiert werden kann. 

    So ergibt sich ein Netz aus Elementen und ihren Beziehungen, das sich mit dem wachsenden Verständnis des Modells leicht erweitern lässt. 

    Das Bild eines Netzes bringt mich zu einem Exkurs in die Psychologie der Überzeugungen. Dr. Art Markman beim Lincoln Project, 8.10.2020: “You don’t actually change somebodies mind. What you actually do is to give them the opportunity to change their own mind. […] We often bring data to a values fight.” 

    Bei mir hat sich das Bild eines Netzes eingeprägt, das zwischen verschiedenen Kernwerten aufgespannt ist und darauf eine Kugel ausbalanciert hat, die lange Zeit stabil liegen kann und dann aber schlagartig fundamental seine Position verändert.

    Das Bild ist in dem Interview eigentlich gar nicht gezeichnet worden, aber es hat sich mir als Metapher der Komplexität der menschlichen Psyche eingebrannt.

    Die Gefahren bei der Vereinfachung allein über Ziele

    Es braucht noch einen Gedanken auf der Zielgeraden: Ziele allein halte ich nicht für ausreichend, um das gemeinsame Verändern eines komplexen Systems zu steuern. Ein scheinbar einvernehmliches Ziel “Gewaltkriminalität zu reduzieren” ließe sich von Polizeistaat bis Anarchie auf vielen unterschiedlichen Wegen verfolgen, über die es wohl keine einvernehmliche Einigung geben wird. 

    Selbst mit gemeinsamen Werten und Überzeugungen bleibt es schwierig, die Wege so zu koordinieren, dass es nicht zu negativen Multiplikationseffekten und unerwünschten Nebenwirkungen kommt – mein Angstgegner Vektormultiplikation lässt grüßen.

    Hinzu kommt die Schwierigkeit, überhaupt die richtigen Ziele und Messgrößen zu identifizieren. Komplexität bleibt bei allen Versuchen der Vereinfachung immer komplex!

    Als positives Forshadowing – also der Erzähltechnik des Andeutens späterer Ereignisse – möchte ich ein iteratives Vorgehen als hilfreiche Methode erwähnen. Durch kurze Feedbackschleifen wird es leichter, unerwartete Nebenwirkungen der ersten Schritte zu erkennen und die nächsten entsprechend anzupassen. 

    Auch dabei gibt es einen ganzen Haufen unangenehmer Fallstricke, die den Rahmen endgültig sprengen würden.

    Mit iterativer Methode konnte ich letztlich auch meine eingangs erwähnte Schreibblockade überwinden. Dieser Spaziergang ist dann ganz anders verlaufen, als im ursprünglichen, groben Plan vorgesehen war. Immerhin habe ich es vermieden, bei analogen Uhren mit 24h-Anzeige anzukommen, wie der XKCD-Comic 214, den ich als Titelbild verwendet habe.

    Als Beispiel für das wohl größte, globale und optimistische Projekt, das über Ziele und Meßgrößen gesteuert wird: Die 17 UNO-Nachhaltigkeitsziele zur “Förderung nachhaltigen Friendens und Wohlstands und zum Schutz unseres Planeten”. Und als positiven Abschluss ein 3-Minuten-Beitrag zum Vereinfachen von Kompliziertheit durch Zulassen der Komplexität von Eric Berlow:

    https://www.ted.com/talks/eric_berlow_simplifying_complexity?subtitle=en

  • Auftakt: Kerninteressen

    Auftakt: Kerninteressen

    So beginnt also die Reise 

    Zuerst veröffentlicht auf LinkedIn (13.Juli 2024)

    Schamlos erhasche ich mir Aufmerksamkeit mit dem großartigen Artwork “Die Reise beginnt” von Daniel Lieske. Gerne verweise ich explizit auf seine Künstlerpräsenz unter https://daniellieske.com. Ein Druck des Bildes hängt seit über 15 Jahren stets über meinem Schreibtisch und schenkt mir Inspiration und Mut.

    Als zutiefst introvertierte Person kostet mich jede öffentliche Äußerung einiges an Überwindung. Auf keinem der Themenfelder meines Interesses kann ich als Experte irgendetwas Neues beitragen. Applaus für mehrheitsfähige Standpunkte darf ich wohl auch nicht erwarten. Genug Hintergrundwissen über digitale Technologien gibt mir zudem gewichtige Gründe, keine unnötigen Datenspuren zu erzeugen. Und dennoch verlasse ich hiermit meine Rolle als stiller Beobachter. 

    Zu Beginn zur Sicherheit der Disclaimer: Alle geäußerten Ansichten und Meinungen sind ausschließlich persönliche Beiträge und müssen nicht notwendigerweise mit der Sichtweise einer Organisation wie beispielsweise dem Arbeitgeber übereinstimmen.

    Den letzten Anstoß hat das ebenfalls großartige Buch von Ciani-Sophia Hoeder gegeben:  Vom Tellerwäscher zum Tellerwäscher

    Darin heißt es: “Weil wir im Mainstream nicht über Klassenungerechtigkeiten sprechen, sind viele Menschen anfälliger für Verschwörungstheorien und unrealistische oder rassistische Lösungen.” (Seite 7)

    Gerechtigkeit steht nicht ganz oben auf meiner Themenliste, aber gehört in meine Top 5. Und das Prinzip ist übertragbar auf eine ganze Bandbreite von Themen.

    Reden wir also zunächst über die Klimakrise.

    Den letzten Aufbruch zu einer neuen Reise habe ich 2019 vollzogen, als mich die Fridays-for-future-Demonstrationen aus meinem bequemen Leben aufgeweckt haben. “When you are a singer, sing about it” – fordert Luisa Neubauer in ihrem inspirierenden Ted-Talk “Why you should be a climate activist”. Also habe ich versucht, mit meiner Erfahrung als Game-Designer Spiele zu machen, die dem Thema Klimakrise Aufmerksamkeit geben. Drei Hackathons und einen abgelehnten Förderantrag zu einer spielerischen Visualisierung der Klimakrise später war es Zeit, die Spieleindustrie zu verlassen und den nötigen Brotjob voll in den Dienst positiver Kräfte zu stecken. Ein erstes Projekt bei atmosfair ist jetzt in eine offene Beta-Phase getreten; das Smart-Travel-Tool hilft, klimafreundliches Reisen leichter zu planen. 

    Seit 2 Jahren bin ich nun mit großer Überzeugung bei ecoworks und arbeite auf die Dekarbonisierung des Gebäudesektors hin.

    Dennoch plagt mich die bange Frage: Zu wenig und zu spät? 

    Zusätzlich steigt die Sorge um Frieden und Demokratie. Zu wenig, zu spät ist da keine Option. 

    Yet there’s still something in my heart
    That can find a way to make a start
    To turn up the signal
    Wipe out the noise

    (Signal to noise, Peter Gabriel, 2002)

    Nach diesem Prolog erfolgt der inhaltliche Start mit dem Thema Komplexität.